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Wenn die Mainstreammedien versagen…

6. Mai 2014

…erhalten Verschwörungstheoretiker und Populisten fruchtbaren Nährboden für ihre hoch spekulativen Geschichten. Wenn Menschen erkennen müssen, dass die Medien wichtige Details in ihrer Berichterstattung unterschlagen und den Eindruck erwecken, politisch ferngesteuert zu sein, braucht sich niemand darüber zu wundern, wenn die Menschen in ihrer Verzweiflung zunehmend dubiosen Quellen mehr Glauben schenken.

Das schreckliche Massaker von Odessa soll nun als Grundlage dienen, etwas mehr Sachlichkeit in eine immer weiter eskalierende Situation zu bringen.
So berichtete beispielsweise Zeit- Online über den Vorfall in Odessa(Ukraine), wobei ca. 46 Menschen starben:

Am Sonntag hatten bis zu 3.000 mit Knüppeln Bewaffnete das Polizeigebäude attackiert, um prorussische Gefangene zu befreien. Prorussische Separatisten haben angekündigt, das Regierungsgebäude angreifen zu wollen.

Quelle: http://www.zeit.de/politik/ausland/2014-05/ukraine-russland-live-blog-mai-5
Schon wieder machen die Medien angebliche prorussische Separatisten für die Eskalation verantwortlich. Selbst wenn es so war, erhärtet sich der Eindruck, als sei die ukrainische Übergangsregierung ein Unschuldslamm, das es zu beschützen gilt. Das macht viele Leute einfach wütend und erklärt ansatzweise, warum die Gegenseite an Sympathien gewinnt. Aber das ist eine gefährliche Gratwanderung…
In den sozialen Medien kursieren inzwischen grausame Fotos von den Opfern:

Quelle: Facebook (Igor Ljutow)

Quelle: Facebook (Igor Ljutow)

Diese werden größtenteils unreflektiert verbreitet, ohne dass man die Quelle kennt. Das Entsetzen der Leute über jene Grausamkeit lässt jegliche Rationalität entschwinden. Genau diese Reaktionen werden mit solchen schockierenden Fotos provoziert und man hinterfragt kaum noch die Absichten jener, die solche Nachrichten verbreiten.
Die „deutsche“ Quelle für dieses schreckliche Foto ist das Weblog „Die Killerbiene sagt…“
Quelle: http://killerbeesagt.wordpress.com/2014/05/05/neue-erkenntnisse-zum-massaker-in-odessa/

Es ist unter diesen Gesichtspunkten die wahrscheinlichste Annahme, daß in diesem Gewerkschaftshaus noch etwas ganz anderes vorgefallen ist und daß das Feuer überhaupt nicht direkt für eine Vielzahl der Todesfälle verantwortlich war. Offenbar wurden die Opfer in den Räumen des Gebäudes gefoltert, ermordet und anschließend teilweise mit brennbaren Flüssigkeiten übergossen, um die Spuren zu verwischen. Dafür spricht, daß man verkohlte Leichen in Zimmern gefunden hat, deren gesamtes Mobiliar vollständig intakt gewesen ist. Wie soll ein menschlicher Körper, der zu großen Teilen aus Wasser besteht, verkohlen, wenn nichts um ihn herum brennt?

Über den Hergang der Geschehnisse werden nun Spekulationen präsentiert, die in ihren Schlussfolgerungen plausibel klingen. Bestimmte Schlüsselwörter weisen sogar darauf hin, dass es sich bei dieser angeblichen Berichterstattung nicht um Fakten handelt, sondern um Annahmen. Diese Begriffe sind farblich hervorgehoben. Es muss also gar nicht so vorgefallen sein. Anstatt diese Aufklärungs- und Ermittlungstätigkeiten entsprechend ausgebildetem Personal zu überlassen und Ergebnisse abzuwarten, treibt man die Propaganda- Maschinerie an und nähert sich damit der nächsten Eskalationsstufe. Damit erreicht man keinen Frieden, nicht einmal eine winzige Deeskalation.

Schaut man sich dieses Weblog genauer an, fällt auf, dass Verschwörungstheorien dort eine Heimat finden und sogar Rassismus wird stellenweise verniedlicht, während Nationalismus als erstrebenswerte Weltanschauung angepriesen wird. Auf ein eigentlich rechtlich vorgeschriebenes Impressum wird verzichtet, dafür darf man sich ein ziemlich merkwürdiges Selbstverständnis durchlesen:

Dieser blog hat vor allem eine Aufgabe: er soll kritisch sein und der Wahrheit verpflichtet. Aus diesem Grund verzichte ich explizit auf eine Ausrichtung; im Gegensatz zu PI, die sich beispielsweise als “proisraelisch” und “proamerikanisch” bezeichnen, nehme ich niemanden von Kritik aus-solange sie berechtigt ist.

 

Wofür versucht sich der Betreiber (ist offensichtlich nur eine Person) eigentlich zu rechtfertigen? Merkwürdiges Selbstverständnis!
Doch auch dieses Blog scheint nicht die ursprüngliche Quelle für die grausigen Bilder aus Odessa zu sein. Ein Querverweis führt schließlich auf ein weiteres, angeblich englischsprachiges Blog(http://ersieesist.livejournal.com/813.html).
Es werden weitere grausame Bilder dokumentiert und analysiert, wobei englische Übersetzungen unter den russischen Original- Texten platziert wurden. Bei obigen Bild heißt es folgendermaßen:

The scariest picture. Most likely it is a pregnant woman, who was one of the employees working on holidays, cleaning offices and watering flowers. She was strangled by an electric wire. She tried to resist – one can see discarded flower on the floor.
The following video recorded how this woman cried and called for help while being murdered („HELP ME! HELP ME!“ cries start at 0:20).

Übersetzung:

Höchstwahrscheinlich handelt es sich um eine schwangere Frau, die eine der Angestellten war, welche während des Urlaubs arbeiten, Büros putzen und Pflanzen gießen. Sie wurde mit einem elektrischen Kabel erwürgt. Sie versuchte sich zu wehren – man kann die hingeworfene Blume auf dem Boden sehen.
Im darauf folgenden Video wurde aufgenommen, wie diese Frau schrie und um Hilfe rief während sie ermordet wurde.

Ich behaupte nun mal, dass ich diese Einschätzung so nicht teilen kann. Es könnte zum Teil so geschehen sein, aber womöglich auch völlig anders. Darüber möchte ich aus so großer Distanz kein Urteil abgeben. Ich bleibe da lieber bei den Fakten, die lediglich ergeben, dass hier ein Gewaltverbrechen begangen wurde. Aber auch ich kann und darf mich wundern:

Woher nimmt der Berichterstatter die Erkenntnis, dass diese Frau mit einem elektrischen Kabel erdrosselt wurde?

Man kann dies anhand des Fotos in keiner Weise erkennen. Man macht auf das Kabel auf dem Tisch explizit aufmerksam. Das liegt aber daneben und die Lampe ist trotz dieser Tat immer noch am Tisch festgeklemmt. Das ist erstaunlich, da sich ja diese Frau angeblich vehement gewehrt haben soll und sogar die Blumen auf den Boden warf.

Der Täter hat wohl nach seiner abscheulichen Tat die Lampe wieder ordentlich aufgestellt und das Kabel wieder in die Steckdose gesteckt?

Dass die Tatwaffe dieses Kabel sein soll, kann übrigens nur der Täter selbst wissen oder eben Ermittler, welche dies zweifelsfrei feststellen können. Oder eben jemand, der dort nicht besseres zu tun hatte, als Fotos von toten Menschen zu schießen.

Ich bin zwar kein Mediziner, aber ein solcher könnte sicher einen anderen verwunderlichen Aspekt genauer spezifizieren. Ein Opfer, welches im Moment seiner Erdrosselung um Hilfe rufen bzw. schreien kann, klingt nicht überzeugend…

Was immer dort für Verbrechen begangen wurden und wer immer dafür verantwortlich sein mag, man sollte keineswegs mit solchen abscheulichen Taten Propaganda betreiben. Wer immer diese Fotos gemacht hat, tat es mit der Absicht, sie für eigene Zwecke zu verwenden. Menschen können so grausam und niederträchtig sein!

Die Quelle http://www.livejournal.com wiederum scheint eine Online- Plattform zu sein, wo angemeldete Benutzer selbst Artikel einstellen dürfen. Wer also diese Bilder und dazugehörigen Texte verbreitet, sollte sich darüber bewusst sein, dass er einen anonymen Internet- Aktivisten mit Pseudonym „ersieesist“ weitreichendes Vertrauen schenkt.
In der Tagesschau klingt die Berichterstattung zu diesen Vorkommnissen deutlich konservativer:

In der Hafenmetropole hatten sich bereits am Freitag Anhänger und Gegner der Übergangsregierung in Kiew schwere Straßenschlachten geliefert. Dabei wurde das zentrale Gewerkschaftshaus in Brand gesetzt, wo insgesamt 46 Menschen starben und 214 verletzt wurden.

Weil man nicht zuletzt wegen wenig überzeugender journalistischen Fähigkeiten und deutlich wahrzunehmender einseitiger Berichterstattung den etablierten Medien das Vertrauen verwehrt, ist es nicht verwunderlich, wenn Freizeitjournalisten und politisch motivierte Blogger plötzlich diese Aufmerksamkeit erhalten. Schließlich bekommt man schnell und ohne Nachfrage jegliche Antworten geliefert, deren Reiz oft durch das eigene Empfinden gestärkt wird. Es spielt schließlich weniger eine Rolle, ob die inhalierten Informationen richtig sind, vielmehr stellt es eine Genugtuung dar, das verhasste Establishment vorgeführt bekommen zu haben…