Wir Piraten vom Bahnhof Zoo

Dass die Piratenpartei in der Drogenpolitik neue Wege beschreiten möchte, ist nun wirklich nichts neues. Bereits 2011 auf dem Bundesparteitag der Piraten in Offenbach wurde eine umfassende Programmatik dazu beschlossen. Ich war auch dort. Für mich war das Thema Drogen bis dahin tabu. Die einzige „Droge“, welche mir bisher zu schaffen machte, war das Glutamat in diversen Lebensmitteln. „Die müssen doch spinnen“, dachte ich vor jener mehrstündigen Diskussion in Bezug auf die Programmanträge zur Drogenpolitik. Man muss doch schizophren sein, wenn man derlei gefährliche Substanzen der Menschheit frei und hemmungslos zur Verfügung stellen will? „Miami Vice“ hat mir im Fernsehen immer wieder bewiesen, dass Drogen eine der schlimmsten Geiseln der Menschheit sind. Aber auch die seriösen Nachrichten liefern immer wieder spektakuläre Fälle, wo Drogentote zu beklagen sind. Gemeinhin verbinde ich den Begriff „Heroin“ mit dem Elend und der Kriminalität aus der authentischen Biographie „Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“. Es wirkte abschreckend auf mich und seither lebe ich in einer Parallelwelt, wo Drogen eigentlich keine Rolle spielen. Eines der großen gesellschaftlichen Probleme dieser Zeit geht glücklicherweise an mir vorüber…

http://www.alternet.org/8-visions-future-legal-pot

Quelle:www.alternet.org

An diesem verregneten Dezembertag in Offenbach auf dem Bundesparteitag der Piraten wurde ich buchstäblich aus meiner heilen Welt gerissen, in welcher Drogen der Inbegriff des Abscheulichen darstellten. Es erforderte viel Geduld und auch Überwindung, sich diesem Reizthema hinzugeben. Zum ersten Mal wurde mir bewusst, dass Drogensüchtige immer noch Menschen sind und eigentlich nicht diese teuflischen Substanzen die Ursache für deren Leid und Perspektivlosigkeit sind. Schuld ist unsere Gesellschaft, die mit Leistungsdruck und menschlicher Kälte so manche labilen Personen in eine Flucht ohne Hoffnung treibt. Wer einmal die Leiter der Drogensucht erklommen hat, kann nur selten den kontrollierten Abstieg schaffen. Meistens ist der freie Fall ins Verderben die unausweichliche Folge. Aufgrund einer harten Prohibitionspolitik beginnt bereits beim ersten Konsum von sogenannten weichen Drogen der Einstieg in die Kriminalität. Und trotzdem boomt das illegale Geschäft mit Drogen. Da kann doch etwas nicht stimmen?

Dennoch fordern die Piraten eine Legalisierung von Drogen. Man muss nach Jahrzehnten einer verfehlten Prohibitionspolitik einfach einsehen, dass diese Methode phänomenal versagt haben muss. Warum sollte man deswegen nicht einen anderen Ansatz verfolgen, der nachweislich sogar in Ländern wie Portugal und den Niederlanden durchaus Erfolge erkennen lässt? Vermutlich hat das etwas mit Gesichtsverlust zu tun…

Bei der emotional geführten Debatte um die umstrittene Drogenpolitik der Piraten wird leider vieles falsch interpretiert. Eine Legalisierung von Drogen, wie es die Piraten verlangen, darf keineswegs mit einer Freigabe von Suchtmitteln verwechselt werden. Rezeptpflichtige Medikamente sind schließlich auch legal, dürfen aber deswegen nicht frei erhältlich angeboten werden. Es liegt ein himmelweiter Unterschied zwischen der Bedeutung von Legalisierung und Freigabe. Weil eben dieser wichtige Unterschied sowohl in den Medien als auch in der politischen Diskussion zu geringe Beachtung findet, wirft dies ein schlechtes Bild auf die Forderungen der Piraten. Die Piraten gehen bei ihrer Forderung von einer kontrollierten Abgabe von Drogen an Drogenkranke aus. Unter Kontrolle von Ärzten und entsprechenden Behörden würde der Staat einem Problem begegnen können, welches komplett in Händen des organisierten Verbrechens liegt. Man wird damit keineswegs die Drogenkriminalität mit einem Schlag untergraben können, aber die Süchtigen dem Einfluss von Dealern und Drogenbaronen zum Teil entziehen. Illegaler Drogenhandel könnte dadurch eingedämmt werden. Auch der Gefahr, dass durch verunreinigte, gestreckte oder falsch dosierte Drogen etliche Abhängige elend zu Grunde gehen, könnte man so entgegen wirken.

Ein weiterer Aspekt einer anderen, vielleicht sogar besseren Drogenpolitik ist eine weitreichende Entkriminalisierung von Leuten, die Drogen konsumieren. Solange nämlich jene Menschen als Kriminelle betrachtet und auch verfolgt werden, behält der illegale Drogenhandel seine Vormachtstellung. Die Entkriminalisierung soll übrigens nicht auf jenen Drogenhandel ausgeweitet werden. Ein Vergleich zu gesellschaftlich etablierten Suchtmitteln lohnt sich. Weshalb dürfen sowohl Alkohol als auch Tabak legal bleiben, während Drogen generell illegal bleiben müssen? Die Antwort auf diese Frage bleibt weitgehend offen. Die Kritiker der piratigen Drogenpolitik wissen darauf keine vernünftige Antwort zu geben. Schenkt man den offiziellen Statistiken Glauben, so sind Sterberaten und Suchtpotential bei den genannten gesellschaftsfähigen Suchtmittel sogar höher…

Ich bin keine Experte für Drogen. Ich weiß nicht, welche man als weich oder hart bezeichnet. Ich kenne deren Suchtpotential nicht und es interessiert mich auch gar nicht. Interessant jedoch finde ich selbst als Laie, dass in der Medizin oft Drogen für die Schmerztherapie eingesetzt werden und dabei weniger Nebenwirkungen als ihre chemischen Pendants besitzen sollen. Offensichtlich ist das Teufelszeug doch für etwas gut? Da es augenscheinlich auch bei Drogen je nach Einsatz sowohl gefährliches wie hilfreiches Potential zu geben scheint, darf eine Prävention in einem schlüssigen Drogenprogramm nicht fehlen. Bei aller Empörung über diese bekloppten Piraten wurden diese Komponenten keineswegs im piratigen Drogenprogramm unterschlagen. Natürlich verlangen auch die Piraten eine umfassende Beratung über die Drogenproblematik bereits in der Schule. Vorbeugende und beratende Begleitprogramme gehören selbstverständlich in dieses Portfolio. Wer den Piraten unterstellt, sie würden eine Freigabe von Drogen fordern, handelt höchst unseriös. Eine Lawine, genährt durch Unwahrheiten, droht die Piratenpartei in den politischen Abgrund zu stürzen. Ich kann nur allen Kritikern und unreflektiert Nachplappernden raten, sich vor dem Verbreiten von Lügen, sich die Fakten anzusehen. Wer dann immer noch konstruktive Kritik äußern möchte, findet zumindest in mir einen aufmerksamen Zuhörer:   http://www.piratenpartei.de/politik/selbstbestimmtes-leben/drogen-und-suchtpolitik/

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4 Antworten to “Wir Piraten vom Bahnhof Zoo”

  1. alphachamber Says:

    „…dass Drogensüchtige immer noch Menschen sind und eigentlich nicht diese teuflischen Substanzen die Ursache für deren Leid und Perspektivlosigkeit sind. Schuld ist unsere Gesellschaft…“
    Menschen, fuer die „rationale Vernunft“ reaktionaere Unterdrueckung bedeuted und Selbstverantwortung ein Fremdwort ist, fuer die ist IMMER die Gesellschaft schuld.
    Diese perverse Einstellung und, dass man meint in unserem politischen und wirtschaftlichen Chaos sich mit diesem Randthema abgeben zu muessen demonstriert die Absurditaet dieser Partei! Wer die Piraten (und eigentliche jegliche) Partei waehlt, verdient was auf sie zukommt!
    Locht die Gesellschaft ein und lasst die Kriminellen raus, bis die Gesellschaft Ihre Verbrechen an dem Einzelnen kapiert!!!
    Und solche Leute regen sich ueber N. Korea auf…

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  2. Kola Colman Says:

    Sie zwingen uns ihre Drogen und Suechte auf, von denen sie wissen, wir koennen uns nicht entziehen. Es sei wir haben mitbekommen wie es laeuft. Dann haben wir eine Chance.
    Wir haben es mitbekommen. Nicht viele aber einige. Ein guter Anfang.

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  3. Susanne bischoff Says:

    >
    >
    http://www.zdf.de/ZDFmediathek#/beitrag/video/1911968/mittagsmagazin-vom-30-mai-2013

    http://www.heise.de/tp/artikel/34/34857/1.html

    Von Portugal Entkriminalisierung lernen

    In Deutschland wird die kleine Revolution im Süden Europas weitgehend ignoriert. Weder Wissenschaft noch Parteien haben die drogenpolitische Moderne bislang thematisiert. Vielleicht auch, weil bei aller Zahlenspielerei unklar ist, in wie weit die Gesetze überhaupt Einfluss auf das Konsumverhalten haben. Kulturell bedingte Moden scheinen eine mindestens ebenso große Rolle zu spielen. Seit kiffende Gangsta-Rapper für viele Jugendliche nicht mehr die Leitkultur bilden, hat auch der Drang zum Bong erheblich nachgelassen. Nach Portugal ist allerdings klar, dass eine Entschärfung der Verfolgung nicht zu einem grundlegend anderem Konsumverhalten animiert.

    Hier findest du viele Pro Argumete

    @moddestyblaise

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  4. Shaun Y. Gardner Says:

    Zum Glück war es nicht gelungen, alle Medien lahmzulegen. So war die Internetseite vorstand.piratenpartei.de beispielsweise noch erreichbar, da sie auf den Servern des Landesverbands Bayern liegt. Ebenso waren noch Telefonkonferenzen möglich (wovon an diesem Tag reichlich Gebrauch gemacht wurde), da dieser Server durch den Landesverband Hessen betreut wird.

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